Rumänien
 2008

Hochzeit auf Rumänisch 

 Die deutschen Gäste , streng aufgeteilt in Ost ( ehemals Sachsen-Anhalt ) und  West (der Rest mit Schwerpunkt Norden ) warten in ihren durch die staubige Dorfstrasse getrennten, gegenüberliegenden Unterkünften auf den Zeitpunkt X:

Siebenbürgen, die alte deutschsprachige Hochburg der Sachsen, die in Wirklichkeit Pfälzer waren, erwartet die Fortsetzung ihrer Jahrhunderte alten Tradition in neudeutsch, ohne Not und Vertreibung, freiwillig, jung, mit ein wenig Kapital ausgestattet und voll digitalisiert: unzählige Handys, Internetanschlüsse,  ein Laptop zur anschließenden Power-Point-Präsentation, eine professionelle Fotografin mit schwerem Gerät, ein italienischer Koch, ein bisschen Hamburger Schick gepaart mit transsilvanischem Landleben , Anzüge von Stange bis Design, das kurze Schwarze regional gewürzt mit Turnschuhen oder Latschen: der Weg ist entweder schlammig oder eine Stunde später staubig oder extrem steinig, nichts für Pumps und Pomp unten `rum und das fällt auch nicht weiter auf, weil die zahlreichen Einheimischen im Zirkus der Eigendarstellung ohnehin stark abfallen.

Eine eigenartige Mischung: eine verhuschte arme Familie in Jeans und Pullöverchen neben der Brautmutter in schwarzem Kleid mit weißer Puschelstola , Turnschuhen und Digicam ,

dazu die jungen Siedler (Anfang 30) in weißem Kleid und tadellosen Designer-Anzug, die sich Punkt 17 Uhr in die Arme schließen (der verhangene Himmel bricht endlich auf und die Sonne scheint). Das umständliche Feilschen der Trauzeugen   um die Herausgabe der Braut hat sich gelohnt, damit natürlich auch die lange Wartezeit und der aufgeregte Zug der männlichen Familie (West) zur  gegenüberliegenden Straßenseite ( Ost).

Auf den zahlreichem Fotos und Filmen wird sich später herausstellen, dass das Brautpaar ähnlich aussieht wie die 200 Jahre alten Urahnen und auch das Dorf hat sich seither kaum verändert, nicht durch Kriege und Sozialismus, nicht durch Ceausescu und Rekapitalisierung , nicht durch Europa und Vlad Dracul , alias Graf Dracula.

Einzig  der Einzug des Fernsehens samt Satellitenschüssel verändert massiv, in den Köpfen... 

Die engagierte, kettenrauchende Zigeunerkapelle  hat sich verspätet, sodass die

gesamte hundertköpfige Hochzeitsgesellschaft ohne Musik zum Festplatz ziehen muss. Die wenigen nicht eingeladenen Einheimischen, die sich spätestens ab 24 Uhr selbst einladen werden, beäugen den seltsamen Zug der Sachsen, die in Wirklichkeit Pfälzer waren und heute Schleswig-Holsteiner sind und auch  wieder Sachsen oder was auch immer, in jedem Fall so etwas wie vermögend.

Aufgehalten wird die bunte Gesellschaft durch eine zu durchbrechende Straßensperre auf der kleinen Brücke ( gegen gute Worte der Trauzeugen und Wegezoll) sowie ein wenig später und einige Meter weiter von einer Puppe mit erigiertem Karottenglied und Kartoffelhoden – die Reaktion der Gäste reicht von purem Entsetzen bis hin zu lüsternem Frohsinn, ein neuer Wegezoll wird entrichtet und weiter zieht die mühsam eingehaltene Hochzeitsprozession in Zweierreihen über monströse Kiesel, die im Vorfeld als Schutz gegen den Matsch aufgeschüttete worden waren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Endlich am Platz angekommen erledigt eine schärpenumhängte Standesbeamtin das Ritual, kurz und bündig und das erwartete Jawort folgt erwartungsgemäß wie auch die zahlreichen Tränen der Beteiligten. Ich spiele für die beiden Frischvermählten „Amazing Grace“ und für einen kurzen Moment wird das freie Feld mit dem grandiosen Blick auf die Ausläufer der Karpaten zur Kirche, wie schon vor 200 Jahren...

 

Es wird ein Baum gepflanzt, - wieder Tränen in Umarmung und Gratulation, und das eigentliche Fest könnte jetzt beginnen, wenn sich der umtriebene Bürgermeister des Ortes nicht verspätet hätte. Die verspäteten Zigeuner spielen mittlerweile ( wie schon vor  200 Jahren schön und wild und schön verstimmt) und dann kommt endlich auch der Ehrengast

( der stellvertretende Generalkonsul hat sich leider entschuldigen müssen ): ein angetrunkener,  durch und durch  stolzer und gewählter Vertreter der Gemeinde, der den Siedlern wichtig und bestimmt seine Glückwünsche übersetzen lässt, nicht ohne Hinweis darauf, dass auch andere Hochzeiten an diesem Tag zu besuchen und betrinken seien und er sich nun einige Minuten frei nähme, um die anwesende Gesellschaft zu beehren – eigentlich ganz schön frech, aber auch sympathisch, weil selbstbewusst und an entscheidender Stelle entgegen aller Vermutungen nicht korrumpierbar, Geld hin oder her , der Siedler muss sich eben hinten anstellen , wie schon damals ...

 

Nachdem das offizielle Programm zu Ende ist, geht es jetzt Schlag auf Schlag: italienisches Bufet, Zigeunermusik, DJ-Musik mit Modern Talking und deutschem Walzer, wir alle tanzen und trinken und auf den umliegenden Hügeln werden Feuer entzündet.

Das Outfit spielt schon keine Rolle mehr und auch nicht die verschiedenen Rollen der Gäste , nur die Musik erinnert durch das ständige Wechseln der Stilrichtungen an Transsylvanien und seine ruhelose Geschichte.

Nach Einbruch der Dunkelheit spiele ich meinen Hochzeitswalzer für Jonas und Ulrike, Halbplayback mit diffuser Technik, ich kämpfe mich durch mein Geschenk, froh darüber, es den beiden hinterher als Note und CD komplett überreichen zu können.

Es wird kein rauschendes Fest, aber ein sehr schönes, eines zum Nachdenken und ein Nachhaltiges, so wie das ganze Leben hier in Rumänien.

 

Richtig schön wird das Fest noch einmal in der Nachfeier am nächsten Abend, da wo der Brautvater Ost mit Partei- und Kadervergangenheit  der Familie West mit sozialdemokratischen und christlichen Wurzeln die Siedlermentalität aller Beteiligten vor Augen führt: genealogische Vergangenheitssuche von Paris bis Vorpommern, vom Westerwald bis nach Halle, von Frankfurt nach Flensburg, Kriege, Flucht und Neubeginn über halb Europa , bis hin dann  nach Rumänien und plötzlich ist das auch nicht mehr so wichtig , und selbst Franco, der sizilianische Koch, wirkt hier nicht mehr fremd  ( und auch nicht seine Schalentiere, die aus Unkenntnis  am Vorabend noch mit Augen und Fühlern verspeist worden waren).

Nur die Einheimischen fehlen an diesem Abend – sie hoffen, wahrscheinlich wie schon vor über 200 Jahren, dass ab jetzt alles besser wird - bis zum nächsten Mal.